Der Entwicklungsprozess
Von der Außen-Orientierung zur Innen-Orientierung

Die Hinwendung zur Welt
Im Laufe unseres Lebens machen wir viele unterschiedliche Erfahrungen. Die ersten Erfahrungen, die wir machen, sind Erfahrungen in und mit der Welt.


Vom reinen Sein zum „Ich“

Am Anfang unseres Lebens befinden wir uns in einem reinen Seinszustand. In einer gewissen Weise sind wir „Ich-lose“ Wesen. So lange sich noch keine innere Ich-Form gebildet hat, gibt es weder einen persönlichen Bezug zu den Erfahrungen noch eine Möglichkeit der Erkenntnis. Erfahrungen kommen und gehen. Aufgrund sich wiederholender Erfahrungen erschaffen wir ein inneres Abbild der vorgefundenen Welt, wie von uns selbst. Wir entwickeln ein „Ich“, womit ein erstes Erkennen von uns selbst beginnt.


Das „Ich“ reagiert auf die Erfahrung

Hat sich eine erste Ich-Form gebildet, werden die Erfahrungen zunehmend ichbezogenen. Mit dem „Ich“ ist jemand da, der all diese Erfahrungen macht. Erfahrungen werden persönlich und betreffen uns. Erfahrungen, die wir auf uns beziehen lösen auch eine Reaktion in uns aus. Jetzt sind wir nicht mehr unbeteiligt. Wir sind Teil unserer Erfahrungen, diese wirken sich auf uns aus. 


Wir orientieren uns an der Außenwelt

Die anfängliche Entwicklung findet über die anderen, über die Welt statt. Unsere Wahrnehmung richtet sich nach außen. Wir blicken nicht auf uns selbst, sondern auf die anderen. Weil wir nach außen gerichtet sind, orientieren wir uns auch an der Welt. Die Welt, die anderen, sind wichtig für uns. Wir folgen den gesellschaftlichen und kulturellen Vorstellungen, wie ein gelungenes Leben aussehen soll. Wir wollen in der Welt bestehen, erfolgreich oder gar berühmt werden, etwas bewirken usw.

Am Anfang unserer Entwicklung sind wir nicht in uns selbst zentriert.
Unser Zentrum ist nach außen verlagert, es liegt in der Welt. Damit werden anderen, unsere Wirkung auf die anderen oder was andere von uns denken, bedeutsam. Die Welt bietet ein großes Maß an Abwechslung und so bleiben manche Zeit ihres Lebens in der reinen Außenorientierung.

Die Wendung nach Innen
Unsere nächste Entdeckungsreise geht nach Innen. Nicht mehr die Welt, sondern wir selbst werden zum Ziel der Erkundungen.


Unsere Erwartungen haben sich nicht erfüllt

Oft geschieht die Wendung nach innen nicht ganz freiwillig, sondern aus einem gewissen Leidensdruck heraus. Meist haben sich unserer Erwartungen von einem gelungenen Leben in der äußeren Welt nicht erfüllt. Wir haben keinen Erfolg, unsere Beziehungen sind schwierig, oft können wir uns selbst nicht ausstehen. Die Welt scheint nicht der Ort der Erfüllung zu sein. Unsere Erfahrungen treiben uns dazu eine andere Richtung einzuschlagen und so wenden wir uns der inneren Welt zu.


Von den Welterfahrungen zur Selbsterfahrung

Im herkömmlichen Sprachgebrauch nennen wir dies „Selbsterfahrung“. Dabei unterliegen wir jedoch dem Irrtum dieser Ebene. Wir glauben, dass dieses „Ich“, das wir erkunden, wir selbst sind.  Doch das „Ich“ ist nicht unser „wahres Selbst“. Das „Ich“ ist nur eine Vorstellung von uns selbst. Da wir uns aber völlig mit dem „Ich“ identifizieren, fühlt es sich so an, als wären wir dieses „Ich“.


Erkenntnisse über das „Ich“

In der Innenschau erkennen wir unsere psychische Struktur, deren Muster und Mechanismen. Die klassische Selbsterfahrung spannt immer einen Bogen zur Kindheit. Dort liegen die Wurzeln des „erlernten Selbstbildes“. In der Kindheit bauen wir die psychische Struktur auf. Unsere Annahmen, Muster, Haltungen und Einstellungen gründen in den kindlichen Erfahrungen.


Die Suche nach „positiven Zuständen“

Weil der Wechsel aufgrund eines Leidensdrucks stattgefunden hat, suchen wir nach einer Veränderung. Wir wollen nicht mehr, dass es uns schlecht geht, wollen auf die „positive Seite des Lebens“ gelangen und zukünftig leidvolle Erfahrungen vermeiden. Wir streben nach „positiven Zuständen“ nach Liebe, Glückseligkeit, Zufriedenheit oder Freiheit. So wie wir anfangs etwas in der äußeren Welt bewirken wollten, wollen wir nun etwas in der inneren Welt erreichen.

Die Bewusswerdung
Eine Zeit lang erleben wir die Selbsterfahrung als durchaus interessant und bereichernd. Wir beginnen Zusammenhänge zu erkennen, welche wir in der reinen Außenorientierung nicht erkannten.


Das Erkennen über den Verstand

Die Selbsterfahrung ist ein Prozess in dem wir über den Verstand erkennen. Wir wollen verstehen. Außer einer vermehrten Erkenntnis der eigenen Strukturen ändert sich allerdings nicht viel. Im Kern bleiben wir immer noch dieselben. Der psychische Bewegungsradius mag größer und flexibler geworden sein, aber weiterhin dreht sich alles um unsere Psyche.


Wir finden keine Lösung

Das Erkennen unserer psychischen Struktur löst unsere Probleme nicht. Wir wissen um unsere Muster und sie wirken dennoch. Unser Wissen nützt uns nicht viel. Kaum wird ein Muster aktiviert, wird es auch schon ausagiert. Früher bemerkten wir das nicht. Meist gaben wir anderen die Schuld an unseren Reaktionen und verstanden nicht, dass wir immer gleich reagierten. Doch jetzt wissen wir um unser Thema und können es dennoch nicht vermeiden. Manchmal ist es, als müssten wir zusehen, wie sich in unserem Leben eine griechische Tragödie anbahnt. Wir kennen die Tragödie, doch verhindern können wir sie nicht.


Psychisch gebunden

Wir haben versucht, die anderen und unsere Erfahrungen zu verändern; das ist uns nicht gelungen. Anschließend versuchten wir uns selbst zu verändern, auch hiermit scheiterten wir. Wir waren so auf Änderung der Form konzentriert, dass wir nicht erkannten, worum es geht. Wir verstanden mehr von unserer psychischen Struktur, aber es änderte nichts an unserer Strukturgebundenheit. Wir entkommen unserer Psyche nicht. Solange wir an der psychischen Struktur festhalten, kann keine wirkliche Veränderung eintreten.


Zurück in den vorpsychischen Zustand, in das „leere Sein“

Wir „ent-wickeln“ uns und wickeln uns aus den aufgebauten psychischen Strukturen heraus. Es ist ein Weg zurück zu unserem ursprünglichen “leeren Sein“. Dennoch ist es dieses Mal anders. Während wir uns anfangs dieses „leeren Seins“ nicht bewusst waren, sind wir uns nun dessen bewusst. Wir werden zum Beobachter und gewinnen eine Distanz zu Körper und Psyche. Wir hören auf, alles persönlich zu nehmen und erkennen, dass es nie darum ging, unsere psychische Struktur aufzulösen, sondern sich einfach nicht mehr von ihr beherrschen zu lassen.


Der Prozess der Integration

Der Prozess der Bewusstwerdung bringt uns in Kontakt mit all unseren verschmähten und abgewehrten Anteilen. Bewusstwerdung ist ein Prozess der Integration. Nichts kann dabei ausgelassen oder ausgegrenzt werden. Alles will und wird zurückkehren. Der Weg der Bewusstwerdung ist ein Prozess voller Überraschungen. Wir werden erkennen, dass all unsere Vorstellungen darüber wahrscheinlich nicht richtig sind. Weder geht es darum, nur noch positive Zustände zu erleben, noch den weltlichen Erfahrungen zu entfliehen.

Es geht um die Aufhebung der künstlich geschaffenen Trennung. Diese Welt ist eine polare Welt, also sind die Erfahrungen dieser Welt ebenso polar. Sie werden das Helle wie das Dunkle, das Gute wie das Schlechte in sich tragen. Doch schließlich wird uns klar, dass es nur unser Verstand war, der diesen Unterschied schuf. Der Verstand schuf eine Trennung, wo im Grunde nie eine bestand. Unser Denken stand uns im Weg und verstellte die Aussicht auf DAS, was einfach nur IST.

Weitere Details finden Sie im Buch des bewusst seins.
Ich habe den Blog Erkenntnisse von der Couch eröffnet. Dort finden Sie weitere interessante Beiträge, wie beispielsweise Einsamkeit – wenn das alleine Sein schmerzt

©  Mag. Brigitte Fuchs