Der Verstand und seine Bewertungen
Wollen wir bewusst werden, ist es günstig die psychischen Gefahren, die sich auf dem Weg der Bewusstwerdung befinden zu verstehen. Die größte Gefahr für unser Bewusstsein geht vom Unbewussten aus. Das Unbewusste ist dadurch gekennzeichnet, dass wir einen Impuls negativ bewerten und diesen daraufhin nicht mehr haben wollen und abwehren. Lehnen wir Impulse von uns ab, bauen wir Unbewusstes auf. So lange wir Unbewusstes schaffen entfernen wir uns vom Bewusstsein. Eine unbewusste Gefahr, der wir im Verlauf unserer Entwicklung begegnen, ist die negative Zuschreibung des Bewertens und der daraufhin folgende Versuch jegliche Bewertung zu verhindern. (nach dem Buch des bewusst seins)

Sind Bewertungen wirklich schlecht?

Im Laufe der Bewusstseinsentwicklung werden uns unsere psychischen Vorgänge bewusster. Dazu zählen Impulse, Gedanken, Gefühle, aber auch Stimmungen oder Bewertungen.
Informationen werden sortiert und bekommen eine Zuschreibung

Unser Bewertungssystem ist ständig aktiv. Es sortiert die Informationen, die an uns herangetragen werden. In diesem Sortierungsprozess bekommen die Informationen eine Zuschreibung, werden sozusagen mit einem Etikett versehen. Manche Informationen bekommen die Zuschreibung: für uns wichtig oder unwichtig, hilfreich oder schädlich bis hin zu gut oder schlecht. Solange wir dem Verstand blind folgen bestimmt die jeweilige Zuschreibung unsere Reaktion. 
Die Basis jeglicher Bewertung

Der Verstand ist jene Instanz, die bewertet. Somit entspringt jede Wertung dem Verstand. Verstandesinhalte sind sehr von der Umgebung, in der wir aufwachsen, beeinflusst. Dies ist einmal die Familie, wie die Gruppe oder Gesellschaft, in welche wir eingebettet sind. Der Verstand speichert sämtliche Informationen ab, damit auch was andere uns vorleben oder lehren. In unserer Kindheit haben wir noch keine Reflexionsfähigkeit entwickelt. Daher überprüfen wir diese Informationen nicht, sondern übernehmen einfach die Bewertungen unseres Umfeldes. So gehen wir davon aus, dass das gut und schlecht ist, was Nahestehende als erwünscht oder unerwünscht betrachten. Manchmal hinterfragen wir diese ersten Werte, die wir gelehrt bekamen, nie mehr.

Je nach Familie oder Kultur fallen unsere Bewertungen unterschiedlich aus. Während sexuelle Freizügigkeit in manchen Kulturen ein Zeichen der Toleranz und Offenheit, und daher positiv konnotiert sind, ist dieselbe Freizügigkeit in anderen Kulturen verpönt. Während eine hohe Ichbezogenheit in manchen Familien oder Gesellschaftsformen als vorteilhaft gilt, setzen andere auf den Zusammenhalt der Gemeinschaft und betrachten eine Ichfixierung als negativ.

Neben den familiären, gesellschaftlichen und kulturellen Unterschieden, finden wir noch ganz individuelle Unterschiede. Diese haben mit unserer persönlichen Geschichte zu tun. Unsere Erfahrungen prägen uns und erzeugen eigene Einstellungen. Während ein Mensch voller Freude ins Wasser springt und das planschen im Wasser sichtliche genießt, fürchtet ein anderer, der fast einmal ertrunken wäre, das Wasser. Für ihn ist das Wasser negativ besetzt.
Günstige Zuschreibungen

Den ganzen Tag über strömt eine regelrechte Informationsflut auf uns ein. Wir bewerten, welche Information für uns wichtig ist und welche nicht. Sind wir gerade in einem Gespräch vertieft und ein Auto rast auf uns zu, so ist das Gespräch unwichtig. Das Auto ist wichtig und wir müssen schauen, wie wir der Gefahrensituation entkommen. Brennt das Essen gerade an und das Telefon läutet, so treffen wir ebenfalls eine Wertung und Auswahl worauf wir reagieren. Zuschreibungen sind durchaus sinnvoll für uns, denn sie helfen uns das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen. Eine klare Bewertung ist hilfreich für die Entscheidung. Bewertungen sind also dann hilfreich, wenn es um Informationen, Sachen oder Situationen geht.
Die Bewertung des Menschen

Doch nicht immer bewerten wir nur Informationen. Treffen die Bewertungen auf einen Menschen, so lösen diese eine Reaktion aus. Je nach Bewertung unterscheidet sich die Reaktion.

  • Bei positiver Bewertung blühen wir üblicherweise auf. Wir sind stolz und fühlen uns gut.
  • Eine negative Bewertung lässt uns innerlich zusammenfallen. Wir fühlen uns klein und schäbig.

Bewertungen kommen einmal von außen und werden von anderen an uns herangetragen, doch wir bewerten uns ebenso selbst. Meist bewerten wir uns so, wie wir früher von nahen Bezugspersonen bewertet wurden.

Die jeweilige Bewertung hat einen großen Einfluss auf uns. So suchen wir häufig nach positiver Bewertung, wie Lob und fürchten negative Bewertungen, wie Kritik. Weil uns negative Bewertungen unserer Person verletzen, versuchen wir diese zu vermeiden. Um negativen Bewertungen zu entkommen unterwerfen wir uns den eigenen Maßstäben oder denen der anderen.
Die ansteckende Abwertung

Ist die Bewertung nicht nur negativ, sondern sogar abwertend, wird sie gefährlich. Eine Abwertung ist extrem ansteckend. Werden wir abgewertet, werten wir den anderen üblicherweise reflexartig ebenfalls ab. Aus diesem Grunde ist es für uns schwierig einer Abwertungsdynamik zu entkommen. Solche Abwertungsdynamiken können innerhalb ganzer Völker oder Gruppen, in Klassen oder Teams oder in einzelnen Beziehungen auftreten.  Kaum beginnt eine Partei die andere Seite abzuwerten, geht die gegenüberliegende Partei ebenfalls in die Abwertung und wertet ihrerseits ab. Beide Parteien schaukeln sich hoch, womit eine Lösung der Situation in weite Ferne rückt. 
So lange wir über den Verstand wahrnehmen, werden wir bewerten

Bewerten ist eine Funktion des Verstandes. Der Verstand wird allen Informationen eine Zuschreibung hinzufügen. Er wird unterteilen, in groß und klein, hell und dunkel, wünschenswert und nicht wünschenswert oder in gut und schlecht. Wollen wir nicht mehr bewerten, so ist es so, als würden wir vom Gefühl verlangen es solle nichts mehr fühlen. Das geht nicht. Der Verstand wird bewerten.

Wollen wir nicht mehr bewerten, sind wir in den Fängen unseres Bewertungssystems gelandet und drehen uns um Kreis. Bewerten wir das bewerten negativ, ist dies nichts anderes als eine Wertung! Solange wir bewerten, entkommen wir unserem Bewertungssystem nicht.
Unser vertrauter Umgang mit Bewertungen

  • Sind wir nicht bewusst, folgen wir automatisch den Bewertungen des Verstandes. Dann ist nicht nur der Verstand bewertend, sondern wir werden wertend.
  • Sind wir unbewusst, stürzen wir uns auf die negativen Bewertungen und fangen an diese auszuagieren. Dann kämpfen wir gegen das an, was wir negativ bewerten. Wie beispielsweise gegen unsere aktuelle Lebenssituation, gegen ein Gefühl, gegen andere oder gegen den Verstand und dessen Bewertungen. Dabei wollen wir häufig im Grunde nichts anderes, als unserem Leben eine positive Richtung geben. Landen wir in der unbewussten Dynamik, werden wir nicht bewusster. Wir bewegen uns in die gegensätzliche Richtung und entfernen uns sogar vom Bewusstsein.

Der bewusste Umgang mit Bewertungen

Für unsere Bewusstseinsentwicklung ist es nicht wichtig ob wir bewerten oder nicht. Denn wir werden bewerten. Viel wichtiger ist es, wie wir auf die Bewertungen des Verstandes reagieren.

Es geht nicht darum nicht mehr zu bewerten, sondern darum sich vom eigenen Bewertungssystem zu befreien. Gelingt es uns zur Kenntnis zu nehmen, dass der Verstand gerade wertet, ohne dass wir sofort etwas damit anfangen oder darauf reagieren müssen, dann befreien wir uns von den Bewertungen des Verstandes. Es sind lediglich Zuschreibungen. Weder müssen wir etwas mit diesen Zuschreibungen machen, noch dagegen ankämpfen.

Gewinnen wir mehr Gelassenheit mit unserem Menschsein – und dazu gehört das bewerten – dann kann sich auch der Verstand beruhigen. Bis wir die Welt irgendwann nicht mehr ausschließlich über den Verstand betrachten.

Weitere Details finden Sie im Buch des bewusst seins.
©  Mag. Brigitte Fuchs